Verantwortung und Entscheidungen

Dies ist mein 13ter Alpsommer. Ich habe schon eine Menge ausprobiert. Milchkuhalpen, mutterkuhalpen, ziegenalpen. Als Hirtin, als Zusennin, als Sennerin. Alles und immer im Team. Oder mindestens mit Partner. Zu zweit, zu dritt, zu viert, zu fünft. Meistens gut , manchmal schwierig. Oft in guter Zusammenarbeit und Unterstützung, manchmal das, was es überhaupt erst stressig gemacht hat - das Zwischenmenschliche.

"Mir ist noch nie wer davon gelaufen," hat vor einer Woche eine Sennerin aus dem Tal angemerkt. Bei mir auch nie. 

Und trotzdem wollt ich's wissen: wie ist es, eine Alp ganz alleine zu machen. Nur mit mir auskommen, ohne Absprachen, Rücksichtnahme, Kompromisse. Ohne fremden Besuch, andere Eßgewohnheiten, ohne gemeinsam vereinbarte Zeiten und ohne - die Möglichkeit  Rücksprache zu halten.

Und noch mehr, als ich das alles einmal nicht haben wollte, wollte ich einiges:

Erleben, wie es ist, 100 Tage alleine zu sein, wie ich mich strukturiere, wie ich alleine Entscheidungen treffe, Arbeit und Feierabend verbringe, wann es mir zu viel Alleinsein wird, und wie sich Einsamkeit überhaupt anfühlt, und, wie ich die Alp erlebe, wenn ich nicht alles Erleben teile, sondern erlebe und Punkt.

Der Wunsch ist schon vor einiger Zeit aufgetaucht - ich habe mich zunächst nicht getraut, ihm zu folgen. Und in diesem Jahr war es dann soweit.

" Hast du keine Angst?" " und, "Was machst du so allein den ganzen abend? " "Ist dir nicht langweilig?", werde ich von Vorbeikommenden gefragt. 

Ich habe keine Angst, mir ist nicht langweilig  und ich finde immer genug zu tun... bisher - noch ist der Sommer nicht rum.

Die Wahrheit ist, ich geniesse das Alleinsein. Ich empfinde es als total entspannend. Ich geniesse die feine Aufmerksamkeit auf die Dinge um mich herum. Ich geniesse es, meinen Gedanken nachzuhängen bis in die letzten Winkel, ich geniesse es, tun und lassen zu können, was ich will - solange es DRM Tagwerk nicht im Weg steht, versteht sich.

Ich geniesse es, laut zu singen, dummes Zeug mit Ziegen und Hund zu reden, einfach auf die Wiese zu pinkeln, einen ganzen Tag lang ein Hörbuch zu hören,und vor allem: ganz oft einfach dazusitzen und es ist -Stille. 

Und doch gibt es Situationen, da ist das Alleinsein ungewohnt und zuweilen unangenehm. Insbesondere zu Beginn der Alp Zeit war mir sehr bewusst, dass ich alle Entscheidungen alleine treffe und auch alle Verantwortung trage.

Wie mache ich das bei Entscheidungen, wenn niemand da ist  mit dem ich etwas diskutieren kann, nach einer Meinung fragen, Ideen austauschen Impulse bekommen? Und auf der Alp sind viele Entscheidungen zu treffen:

Lasse ich die Tiere beim Regen im Stall?

Steige ich diesen steilen Fels hoch?

Wie hoch brenne ich den Käse?

Wie behandle ich die kranke Ziege? ...

Finde ich die Gewissen eher unten im Wald oder am Grat?...

Am Anfang hatte ich sehr oft den Impuls, den Alpmeister anzurufen:"die Geissen sind auf einer Wiese mit steilem Abgang, Krieg ich sie eher von oben oder von unten raus?" "Mir fehlen drei Geissen, soll ich die suchen, oder bis morgen warten?" "Die Kultur ist zu fest, soll ich neue machen, oder sie nutzen?"...

Dann habe ich immer mehr begonnen, Selbstgespräche zu führen. Zum te sogar laut. Mir Fragen zu stellen, diese mir selbst zu beantworten, und dann gezielt dazu zu denken, wie man das noch sehen koennte. Besonders wichtig ist dabei immer die Frage : "Wozu?" Ich habe getroffene Entscheidungen später durchdacht, auf Vor- und Nachteile überprüft ud Schlüsse gezogen, was ich das nächste mal anders machen sollte.

Der zweite Punkt, an dem mir das Alleinsein besonders auffällt ist die Verantwortung. Die trage ich, allein... keiner da, auf den ich sie abwälzen kann. Und mir ist aufgefallen, wie oft ich dennoch versuche, abzuwälzen... Der Alpmeister ist Schuld, oder die Bedingungen, oder das Wetter, oder... Ah... Schuld... daher weht der Wind.

Ja, das lerne ich noch, und gern: Verantwortung nicht mit Schuld gleichzusetzen. Verantwortung als die Möglichkeit zu sehen, wie ich auf Gegebenheiten antworte, statt lediglich als Gefahr, mich durch Fehler Schuldig zu machen zu koennen. 

Darüber muss ich noch ein bisschen Nachdenken und mit mir diskutieren.

Ich weiss nicht, ob der Sommer fuer all das reicht, was ich gerne mal ganz in  Ruhe mit mir besprechen möchte.

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Kommentare: 3
  • #1

    Thomas (Mittwoch, 22 Juli 2020 20:42)

    Danke für den schönen Beitrag.
    Bleib gesund und komm wieder heil von der Alp.

  • #2

    Thomas (Donnerstag, 23 Juli 2020 17:25)

    Ich habe neulich etwas von James Salter gehört das ich schön fand und mich an deine Situation erinnert "In solitude, one must penetrate. One must endure. The icy beginning is where it is worst. One must pass all that. One must go forward all the way, through bitterness, through righteous feelings, advancing upon it like a holy city, sensing the true joy."

  • #3

    Hansruedy (Donnerstag, 06 August 2020 16:48)

    Ich bin auch zehn sommer alleine zalp.einfach cheibä scheen.mit den entscheidung ist es wie mit dem wetter,eben immer anders.mache das beste aus der jetzigen situation,dann hast du es richtig gemacht.lg