Das liebe Vieh

Alp Schäferhüttli, 49 Ziegen, zwei Rinder, eine Kuh, drei Hühnern, ein Hund und ich.

Tatsächlich ausschliesslich Damen.

Und ich, verantwortlich für das Wohl der Tiere, aber auch für die Menge der Milch im Kessi und die Qualität des Käse.

Ich arbeite hier mit Bündner Strahlengeissen. Eine schöne, robuste, berggängige Rasse. Nicht übermässig viel Milch, dafür aber können sie die Milch sehr gut und lang halten aus all dem, was auf der Alp so wächst.. nervös sind sie, recht schreckhaft und ziemlich unabhängig- und neben all dem, Ziegen eben.

Zu Beginn der AlpZeit war diese Herde eher eine unübersichtlich schwarze Menge mit viel Beinen und viel Hörner. Ich war nur froh, wenn ich sie alle an der Hütte hatte und noch erleichterter, wenn jede im Stall angebunden war und erst recht, wenn die Milch gemolken war. Beim Einstallen und auch beim Holen von  der Weide überfiel mich manches mal das Gefühl, sie gegen mich, eins gegen 49... Ich will sie in den Stall locken, und sie würden viel lieber springen und fressen und auf dem Grat in der Sonne stehen. Ich will melken, und sie würden viel lieber weiter Gräser rupfen.

Ich konnte das verstehen. Die ganze Nacht angebunden im Stall, und am besten noch ne zickige Nachbarin....

Ich hatte den Eindruck, beim Ziegen holen gute List anwenden zu müssen, und genauestens drauf aufzupassen, dass auch alle mitkommen und keine auf der Strecke bleibt... Das ging am besten mit Hund hinter der Herde und lautem Rufen.. als die Ziegen sich dann zum zweiten Mal in stutzig steilem Gelände verstiegen (Das erste mal müsste ich sie über Nacht draussen lassen)... also, als sie zum zweiten mal in das gleich Gelände stiegen, schnappte ich mir die Leitziege, nahm sie an die Hundeleine , und nötigte sie so, mit mir  - und der ganzen Herde im Schlepptau- zur Hütte zu kommen... mir tropfte der Schweiss wie Wasser von der Stirn. Und die Ziege keuchte.

Ziegen holen war reinste Anstrengung, ich oft an meiner Grenze, gestresst und ärgerlich,  und mir die Tiere in den Momenten absolut nicht lieb.

Ich wusste mir  nicht zu helfen und wusste doch, das kanns nicht sein.

Zur gleichen Zeit war ich im Austausch mit einer Bekannten über Tier Kommunikation. Der klagte ich mein Leid. Wie das denn bei Nutztiere gehen soll mit der Kommumikation  im Gegensatz zu Haustiere. Das sei ja keine echte Kooperation, denn ich nutze sie aus.

Sie nahm sich die Zeit für eine lange und ausführliche Antwort. Und alles, was sie berichtete, floss in mich wie warmer Honig. Nicht,  dass es mir unbekannt war - aber im Stress hätte ich absolut keinen Zugang dazu gehabt:

Mir wurde klar, dass ich mit der Einstellung, ich nutze die Tiere aus, keine Chance haben würde, denn sicherlich strahlte ich das aus. Und das verursachte bei den Tieren Stress und Angst.

Aber es bedurfte nur einer kleinen Veränderung des Blickwinkel, um unser Zusammenleben hier als einen Deal mit Vorteilen für beide Seiten zu betrachten. Ihr gebt mir die Milch, ich halt euch einen warmen und trockenen Stall bereit  und ein paar leckere Sachen, wie Salz und getreidewürfel. 

Was darüber hinaus den grössten Klick bei mir machte, war die folgende Vorstellung: es heisst, Säugetiere haben ungefähr eine soziale Auffassungsgabe eines Kindes im Alter von sechs bis sieben. Und nun kann ich mir überlegen, wie ich es anstellen würde, mit einem sechs bis sieben jährigen Kind umzugehen, das den langen Wanderweg nicht mehr laufen will.

Freundlich, gelassen und bestimmt! Und in dem Vertrauen, dass es letzendlich mitkommen wird, weil es wiederum mir vertraut.

Mit dieser Einstellung gehe ich seit dem  mit den Ziegen um. 

Und siehe da, seit nun mehr einer Woche habe ich keinen Stress mehr beim Ziegen Holen. Ich rufe sie, und sie setzen sich von weitem in Bewegung. Ich laufe mit dem Hund voraus, und lasse sie folgen, im Vertrauen, dass alle mitkommen.

Und es hat nie mehr eine gefehlt.

Noch dazu habe ich die Gelassenheit und Ruhe, sie zu beobachten und verstehen zu lernen. "Warum bleiben die Ziegen jedes mal an diesem einen Punkt stehen und vertei.en sich am Hang?"

Zuvor bin ich schnellstens um die Ziegen rum gerast und habe sie über diesen neuralgischen Punkt getrieben. Nun verstehe ich: sie verschaffen sich Überblick über das nächste Tal. (Was mir im übrigen die Zeit gibt, den Hang vor ihnen hinunter zu laufen, und somit keine Steine abzubekommen, wenn die Herde folgt.)

Das Beobachten und Verstehen gibt mir auch die Möglichkeit, zu überlegen, was kann ich MIT den Ziegen im Einklang tun, um gewisse Schwierigkeiten zu erleichtern. Und das Forschen macht Spass.... Erst recht, wenn die Ideen erfolgreich sind.

Seit ein paar Tagen fangen die Ziegen ihrerseits an, mich zu erforschen. Sie nehmen Kontakt auf, begrüssen mich im Stall, kommen schnuppern und sich an mir reiben, wann immer sie die Gelegenheit finden. So lerne auch ich Fabiola von Vroni und Gudrun von Jamaika zu unterscheiden, an Hornform, leichten Variationen in der Zeichnung und Charakter zu unterscheiden.

 

Gelassenheit , ja, damit bin ich nicht gerade von Natur aus gesegnet. Ich bin gern schnell und beisse mich aktiv durch Herausforderungen durch, bewältige Probleme durch Kraft  Ausdauer und Köpfchen. Gelassenheit , einen Moment zurücklehnen, beobachten, erst einmal nichts tun und Raum für eine Lösung , lassen, das ist meinem Naturell eher fremd. Aber attraktiv. Das will ich lernen !

Und dafür habe ich hier den idealen Ort, mit 56 wunderbaren Lehrerinne! ( kleine rechenaufgabe : mit hunderatachtzehn Beinen)

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Kommentare: 1
  • #1

    milan (Donnerstag, 23 Juli 2020 21:29)

    Hallo Maike,
    das klingt nach einer wahren Herausforderung mit den Ziegen. Aber offensichtlich hast du sie gut gemeistert und ihr seid zusammen gewachsen. Das passt ja gut zu deinem Startbild.
    Und die schöne Bilder - sie deuten auf eine Idylle hin, aber es ist wohl auch harte Arbeit.
    Und wie ist es mit der Einsamkeit? Das ist ja dieses Jahr eine besondere Erfahrung.
    Freue mich, wieder von dir zu lesen hier.
    Lieben Gruß,
    milan